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Tesla gegen den Rest der Welt

Tesla gegen den Rest der Welt

Lange Zeit sah es so aus, als hätte die alte Autowelt den Aufbruch verschlafen und würde Tesla mehr oder weniger kampflos die Pole Position auf der Electric Avenue überlassen. Ja, die alten Autobauer sind spät dran, aber dafür kommen sie jetzt gewaltig. Insbesondere die Deutschen.

SP-X/Stuttgart. Sie reklamieren für sich zwar die Erfindung des Autos, doch bei der Neuerfindung mehr als 120 Jahre nach der Jungfernfahrt des Benz Patentmotorwagens hatte Mercedes bislang kaum mehr als eine Statistenrolle inne. Und bei BMW oder dem VW-Konzern sah es nicht viel anders auch. Denn auch wenn die PS-Giganten noch so viele Milliarden in ihre Forschung gepumpt und noch so viel Hirnschmalz für alternative Antriebe verbraten haben, hat ihnen ein Einzelgänger und Emporkömmling aus den USA die Schau gestohlen: Elon Musk.

Denn wie kein anderer Manager in den letzten fünf Jahrzehnten hat der Tesla-Chef die Autowelt umgekrempelt und quasi im Alleingang die elektrische Revolution des Straßenverkehrs angezettelt. Anfangs für seine Ambitionen milde belächelt, ist er in den Augen der Klimaschützer zum Heilsbringer und für die Autobosse zum Angstgegner aufgestiegen, dem insbesondere die Böse offenbar grenzenloses Vertrauen schenkt. Denn auch wenn Tesla mit einer Jahresproduktion von zuletzt knapp 500.000 Autos nur einen Bruchteil so viele Fahrzeuge verkauft wie Daimler (2,8 Millionen), BMW (2,3 Millionen) oder gar der VW-Konzern (9,3 Millionen), sind die Amerikaner deutlich höher bewertet. Zu Hochzeiten war Tesla sogar mehr wert als Daimler, BMW und VW zusammen.

Je frenetischer dabei der Jubel für Tesla, desto lauter wurde die Kritik an den alten Riesen, die angeblich zu zögerlich und halbherzig auf den Wandel reagierten und schon abgeschrieben wurden. So, wie die Evolution die Dinosaurier dahingerafft hat, so könnte – so die lange vorherrschende Meinung - die Elektromobilität das Ende von Daimler, VW oder BMW besiegeln.

Doch diesmal lagen die Darwinisten offenbar daneben mit ihrer Evolutionstheorie. Denn die alte Welt ist aufgewacht und hat eine gewaltige Aufholjagd gestartet. Sie hat Milliarden von Euro und Millionen von Entwicklerstunden in neue Plattformen gesteckt, eine ganze Flut neuer Modelle auf den Weg gebracht, in die Infrastruktur investiert und sich mehr oder minder bedingungslos zum Systemwechsel bekannt. Mit Erfolg: Eben noch abgeschlagen, fahren der VW-Konzern, BMW oder Daimler wieder mit um die Pole Position auf der Electric Avenue und Modelle wie der VW ID4, der Porsche Taycan, der Audi e-tron GT, der BMW iX oder der Mercedes EQS stehlen den mittlerweile etwas in die Jahre gekommenen Teslas bei Fahrern und Fans immer öfter die Schau.

„Der Vorsprung, den Tesla über viele Jahre hatte, ist weitgehend erodiert und schmilzt mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter dahin,“ urteilt deshalb Andreas Radics vom Strategieberater Berylls in München. Zwar rühmt er die Tesla-eigene Ladeinfrastruktur als echtes Plus und sieht nach wie vor Vorteile bei der Batterietechnik. Denn die Effizienz des Antriebsstrangs sei auch weiterhin der Maßstab, an dem sich die Konkurrenten messen lassen müssten.

Doch in vielen anderen Bereichen hätten die klassischen Hersteller längst zu Tesla aufgeschlossen oder sind sogar vorbeigezogen, sagt Radics und nennt als Beispiel den VW-Konzern, mit seinen E-Plattformen MEB und PPE. „Diese Architekturen werden künftig eine bisher nie gekannte Vielfalt unterschiedlichster E-Fahrzeuge möglich machen, von elektrischen Kleinwagen, über luxuriöse Limousinen und SUV bis zu Sportwagen.“ Und Mercedes hat mit der Electric Vehicle Architektur zumindest für die Oberklasse ähnliches vor: Gerade mit der Luxuslimousine EQS eingeführt, soll dieser Baukasten noch mindestens fünf weitere Modelle tragen, hat Daimler-Chef Ola Källenius angekündigt. „Vergleichbares ist bei Tesla nicht zu finden, wäre aber dringend nötig, weil die einstigen Margenbringer Model S und Model X mittlerweile stark in die Jahre gekommen sind“, sagt Radics. Und auch am anderen Ende der Skala wird die Luft dünn: „Bezahlbare E-Mobilität kommt längst von Hyundai, Renault, VW und anderen, auf diesem Feld hat Tesla außer Ankündigungen noch nichts zu bieten und kann auf vielen Märkten nicht punkten,“ so der Analyst weiter.

Nicht nur die Modelle selbst hätten so an Strahlkraft verloren, sondern auch viele Ausstattungsfeatures sind lange nicht mehr so attraktiv, wie sie einmal waren. Der Autopilot, der vermeintlich freihändiges Fahren erlauben soll, steht durch zahlreiche Unfälle in der Kritik und bekommt nun Konkurrenz durch Systeme wie etwa den Drive Pilot im Mercedes EQS, der nicht nur technisch weiter ist, sondern auch den Segen des Gesetzgebers hat und dem Fahrer so – zumindest im Stau - tatsächlich Freiheit und freie Zeit schenkt.

Die von Tesla als erste im großen Stil eingesetzten Updates over the Air, also die zum Teil sogar kostenpflichtige die Aktualisierung der Software ohne Werkstattbesuch wie man es von den Apps auf dem Smartphone kennt, entwickelt sich zum Standard und selbst der große Monitor im leeren Cockpit ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Im Gegenteil, sagt Radics und sieht in der verschachtelten Bedienung der Amerikaner mittlerweile sogar einen Nachteil, weil immer öfter Kritik an der Ablenkungsgefahr laut wird. „Das können die Deutschen mit dem Hyperscreen und der Sprachsteuerung im EQS oder dem Curved Cockpit des BMW iX mittlerweile besser.“

Dass ein Newcomer wie Tesla über die Jahre überhaupt so einen Vorsprung herausfahren konnte, haben die Amerikaner womöglich ausgerechnet den vermeintlichen Dinosauriern in Deutschland zu verdanken. Denn ohne die Grundlagenforschung bei Daimler & Co würde es Tesla nicht geben. In Stuttgart, München oder Wolfsburg wurde schon am Akku-Auto geforscht, da hatte Elon Musk noch gar keinen Führerschein.

Dafür allerdings hat es Daimler & Co am Willen zur Veränderung gemangelt. Denn spätestens, als es um die Batterien ging, haben die großen Hersteller erkannt, wie schwierig eine wirtschaftliche Umsetzung wird, das Interesse verloren und ihr Augenmerk wieder auf die Verbrenner gerichtet. Der läuft ja auch und ein „Winning Team“ sollte man je ohnehin nicht leichtfertig auswechseln.

Dieses Zögern liegt auch in einem wesentlichen Unterschied zwischen den Start-Ups und Newcomern auf der einen und den etablierten Herstellern auf der anderen Seite begründet: der Führungsstruktur. Tesla wird vom Inhaber geführt, und was der sich in den Kopf gesetzt hat, das zieht er ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust durch. Und auch hinter Firmen wie Nio oder Byton stehen Überzeugungstäter. Daimler, VW oder BMW dagegen haben einen angestellten Vorstandsvorsitzenden, der regelmäßig Zahlen liefern muss. Da schien bisher oft der lange Atem zu fehlen, den es für solche Umbrüche braucht. Doch auch das scheint sich langsam zu ändern.

Mindestens die gleiche technische Kompetenz beim Antrieb und den Akkus und zumindest im zweiten Anlauf auch den nötigen Willen zum Wandel: So bleibt eigentlich nur noch eine Disziplin, in der die Newcomer die Nase vorn haben – und die hat nicht einmal etwas mit dem Antrieb zu tun. Die wahre Stärke der Seiteneinsteiger sind ihre Software-Architekturen, sagen viele Analysten. Während die altgedienten Autohersteller zum Lacher der Unterhaltungsindustrie wurden, weil sie nicht einmal ein Smartphone integrieren konnten, habe sich Tesla – vielleicht auch aus Unkenntnis – bei der elektronischen Architektur seiner Autos an Handys und Computern orientiert. Und alle anderen Newcomer sind diesem Beispiel gefolgt. Statt eines Netzwerks mit hunderten Steuergeräten wie etwa in einer S-Klasse oder einem Siebener gibt es bei ihnen nur einen zentralen Rechner, der leichter zu beherrschen und schneller auf dem neuesten Stand zu halten ist. Da kommen die alten Hersteller bei allem Engagement noch lange nicht dran, selbst wenn sie noch so viele Milliarden investieren.

Das hat mittlerweile offenbar auch VW-Chef Herbert Diess als eines seiner zentralen Probleme ausgemacht. Jetzt, wo MEB und PPE auf dem Weg sind und die elektrische Welle unaufhaltsam durch den Konzern rollt, lenkt er das Augenmerk deshalb zusehends auf die neue Tochter Cariad, die ein eigenes Betriebssystem für alle Konzernmodelle entwickeln soll. Denn Software werde künftig das „das Herz-Kreislauf-System eines Autos sein" und damit viel wichtiger als sein Antrieb. Deshalb hat Diess den aktuell 4.000 Entwicklern nicht nur 2,5 Milliarden Euro pro Jahr bewilligt, sondern auch eine gewisse Eigenleistung versprochen: Ein Tag pro Woche ist in seinem Kalender künftig für Cariad reserviert.

Benjamin Bessinger/SP-X


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