Durch die Hintertür zum Erfolg - Chinesische Autobauer in Europa
Sie sind gekommen, um zu bleiben: Nach anfänglichen Startschwierigkeiten fassen die chinesischen Autokonzerne jetzt so langsam in Europa Fuß. Allerdings segeln einige Hersteller unter falscher Flagge. Die Strategie geht jedoch nicht immer auf.
SP-X/London/München. Auf den ersten Blick hätte die Veranstaltung britischer kaum sein können: Im Herzen Londons und dort im größten TV-Studio der ehrwürdigen BBC hat Lotus diese Woche in einer spektakulären Show seinen ersten Geländewagen enthüllt. Und als wäre das noch nicht englisch genug für die Kultmarke von der Insel, musste natürlich auch die Dame am Mischpult, die dem Party-Publikum vor der Show einheizte und als erste im globalen Live-Streaming zu sehen war, einen glitzernden Union Jack tragen.
Doch der erste Eindruck ist falsch. Nicht nur weil Lotus-Chef Matt Windle fast gebetsmühlenhaft den Slogan „born british, raised globally“ wiederholt und von der britischen Geburt des Eletra und seiner globalen Entstehung schwärmt. Vor allem, weil an diesem Abend im Schatten der Manager immer irgendwo ein Chinese zu sehen war - dezent im Hintergrund und zugleich omnipräsent. Denn die Zeiten, in denen Lotus ein britischer Sportwagenhersteller war, sind längst vorbei: Vor fünf Jahren ist der chinesische Geely-Konzern bei der Sportwagen-Ikone aus Hethel eingestiegen und hat den englischen Konkurrenten mit einer milliardenschweren Finanzspritze kuriert.
So gibt es nicht nur eine modernisierte Fabrik am Stammsitz, wo mit chinesischem Geld jetzt bald der mit Geely-Hilfe auch im Technik-Zentrum in Raunheim am Frankfurter Flughafen entwickelte Elise-Nachfolger Emira vom Band läuft. Es gibt im fernen Wuhan noch ein weiteres Entwicklungszentren für hunderte von Ingenieuren und daneben eine Fabrik mit einer Jahreskapazität von 150.000 Autos - und vor allem einen Plan, wie beides ausgelastet werden soll.
Denn der rund 120.000 Euro teure, 600 PS starke, 260 km/h schnelle und mit einem über 100 kWh großen Akku für mehr als 600 Kilometer Reichweite bestückte Eletre ist nur der Anfang. Ihm folgen bis zur Mitte der Dekade noch ein viertüriges Coupé, ein kleineres SUV und ein Sportwagen, mit denen Lotus zur elektrischen Luxusmarke im Geely-Imperium werden und in Stückzahl-Regionen aufsteigen soll, die für die Briten in ihren ersten 70 Jahren undenkbar waren – schließlich hat Lotus die meisten Jahre im niedrigen vierstelligen Bereich verbracht.
Die englische Fassade und dezente, aber allmächtige Chinesen im Hintergrund – das ist ein Muster, das mittlerweile seltsam vertraut klingt und sich für die Newcomer aus Fernost als kluge Taktik erweisen könnte. Denn nachdem der erste Anlauf der Chinesen in Europa zur Lachnummer wurde, weil Marken wie Landwind nur billige Kopien hatten und die Träume von Brilliance beim Crashtest zerschellten, versuchen sich viele Konzerne durch die Hintertüre einen Fuß auf den Boden zu bringen.
Während Start-Ups wie Nio oder Aiways den schweren Weg gehen und ihre eigene Marke aufbauen, ist allen voran Geely auf Shopping-Tour gegangen und hat sich kurzerhand bei zahlreichen europäischen Herstellern eingekauft oder sie gleich ganz übernommen. Das hat bei Volvo begonnen, wurde beim Hersteller des legendären London Taxis fortgesetzt und ist mit Lotus noch lange nicht zu Ende. Nicht umsonst schließlich sind die Chinesen mittlerweile auch der größte einzelne Anteilseigner bei Mercedes und haben bei den Entscheidungen in Stuttgart ein Wörtchen mitzureden. Und bei Smart haben sie neuerdings auch das Sagen.
Aber Geely ist nicht der einzige chinesische Großkonzern, der auf dem Weg in die neue Welt auf alte Namen setzt: Auch SAIC als größter Autohersteller in China bedient sich dieses Tricks und rollt den Westen mit MG auf – einer Marke, die vor fast 100 Jahren in England gegründet wurde, wie fast alle englischen Firmen eine ausgesprochen wechselvolle Geschichte hat, zwischenzeitlich sogar mal zu BMW zählte und seit 2005 von China aus zu neuer Blüte gebracht wird. Und während MG aus England nie so ganz verschwunden war, erobern die Briten mit dem chinesischen Pass nun als neue Elektromarke für Preisfüchse auch Kontinental-Europa.
Dabei gibt es für die Wiederbelebung der schwächelnden Marken viel Lob vom Experten: Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer jedenfalls nennt den Einstieg von Geely bei Volvo eine rundherum gelungene Reanimation: Geely habe viel Geld in „new“ Volvo investiert und dabei zwei wichtige Erfolgsfaktoren zu Tage gefördert: Produkte, die den Markenkern „schwedischer Lifestyle“, Nachhaltigkeit und Sicherheit widerspiegeln und neue Fabriken, die hohe Qualitäten liefern. Das könnte nun auch bei Lotus gelingen, sagt Dudenhöffer und „erwartet neue Produkte mit hohem Innovationsanspruch, neue Werke, sprich große Investitionen, die den früheren Markenkern auf moderne Art interpretieren. So wie bei Volvo.“
Doch nicht immer führt der Weg durch die Hintertür für die Chinesen zum Erfolg, mahnt Dudenhöffer und hat gleich auch ein paar Negativ-Beispiele parat: „Saab und Borgward sind Schaubilder des Scheiterns.“ Als Hauptgrund nennt er für beiden die zu geringe Produktsubstanz bei der Neuauflage: „Die neuen Autos bei beiden waren „me too“ Produkte, also Autos, die mit riesigen Versprechungen und Worten angekündigt waren, aber wenig Eigenständiges hatten.“ Zum schwachen Produkt kam dann ein noch schwächerer Vertrieb und langweiliges Marketing, urteilt der Experte: „Solche ausgegrabenen Marken braucht die Welt wirklich nicht. Es gibt zu viele Marken und alter Wein in neuen Schläuchen floppt.“
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