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Der autonome Fahranfänger
Der autonome Fahranfänger

Der autonome Fahranfänger

Ab Ende des Jahres werden in Deutschland wohl die ersten Autos im ganz normalen Autobahnverkehr unterwegs sein, bei denen der Fahrer zwischenzeitlich seine Verantwortung komplett an einen Computer abgeben kann. Doch einige Versicherungsfragen sind auch dann noch offen.

SP-X/München. Es kommt ja nicht so oft vor, dass Deutschland mal bei rechtlichen Freigaben schneller ist als seine europäischen Nachbarn. Beim Ermöglichen von Autofahren ohne Hand am Steuer ist das aber so. Seit diesem Jahr gibt das „Gesetz zum autonomen Fahren“ hierzulande einen regulatorischen Rahmen dafür – kein anderes Land der Welt ist da so weit.

Reicht bloß nicht, sagt Klaus-Peter Röhler. Der Vorstandschef der Allianz Deutschland verlangt, dass „unsere Straßen und Regeln europaweit fit werden für autonomes Fahren.“ Denn bei einem Grenzübertritt müssen selbstfahrende Autos nicht nur Beschilderungen und Markierungen fehlerfrei erkennen und Verkehrsregeln einhalten. „Es muss auch klar sein, wer haftet, wenn ein Unfall passiert“, so Röhler auf dem Allianz Autotag.

Und das ziemlich flott. Denn schon bis Ende dieses Jahres erwarten die Allianz-Experten, „dass die Fahrer der ersten Fahrzeugmodelle mit Fahrzeugmodellen mit dem Automatisierten Spurhaltesystem die Kontrolle über das Fahrzeug für einen längeren Zeitraum auf Autobahnen an das Fahrzeug abgeben können.“

Und das kann knifflige Folgen haben, wenn es rummst. Klar ist im Prinzip zwar: Wenn der Fahrer schläft, weil sein Fahrzeug autonom unterwegs ist, dann kann er bei einem Unfall auch nicht haftbar sein – außer, das System hat ihn mit ausreichend Vorlauf auf die Gefahrensituation aufmerksam gemacht und zur Übernahme des Steuers aufgefordert. Die Sicherheits-Experten des Versicherers rechnen aber damit, dass es auch beim Supercomputer am Steuer künftig Unfälle, vor allem im Mischverkehr mit anderen Fahrzeugen, geben wird. Denn „bald werden immer mehr Computerfahrer mit begrenzter Fahrpraxis auf unsere Straßen kommen“, so Röhler. Der Versicherer nennt sie „autonome Fahranfänger“.

Röhler fordert darum: „Zur Unfallaufklärung werden künftig auch Sensordaten wie Radar, Lidar und Kameraaufzeichnungen benötigt.“ Nur so könnten etwa Unfälle mit Fußgängern erfasst und bewertet werden. Der Datenschutz in vielen Ländern lässt aber gerade das nicht zu.

Eine Expertenrunde beim Autotag schlägt daher zum Schutz der Fahrzeugbesitzer einen europaweiten, unabhängigen Datentreuhänder vor. Der soll prüfen, ob ein berechtigtes Interesse an der Unfallaufklärung besteht und dann die dafür erforderlichen Daten den Berechtigten zur Verfügung stellen. In anonymisierter Form sollen diese Daten zudem auch der Unfallforschung und der Automobilindustrie zur Verfügung gestellt werden, damit Fehler schnell korrigiert und die Systeme verbessert werden können.

Der Akzeptanz für das Fahren ohne Hand am Steuer wird solches Ansinnen wahrscheinlich nicht gerade zuträglich sein, fürchten Beobachter. Und Experten wie der Forscher Matthew Avery, Director beim britischen Thatcham Research-Institut, sieht ohnehin noch ein großes psychologisches Problem der Öffentlichkeit: „Der Mensch ist viel toleranter gegenüber menschlichen Fehlern als gegen solche von Computern.“ Jeder Unfall eines autonomen Autos werde da viel negativer betrachtet als die vielen menschgemachten.

Dazu komme, dass immer noch vielen Normalbürgern nicht klar sei, wozu das autonome Fahren überhaupt nützlich ist. Avery sieht hier ein grundsätzliches Missverständnis: Assistierte Systeme wie ein Spurhalte-Helfer oder die automatische Notbremse seien eher etwas für die Sicherheit. „Die kommenden autonomen Systeme dienen aber vor allem dem Komfort.“ Und den möglichen Gewinn dadurch könne der Mensch von heute ja noch gar nicht erleben, solange es keine solchen Autos im Markt gebe. Darum gebe es auch keine starke Lobby für europaweite Gesetze.

Versicherer Röhler will auch darum erst einmal in Vorleistung gehen, um die neue Technik nicht schon im Ansatz zu blockieren: „Wir diskutieren für Deutschland zum Beispiel eine Produktlösung, bei der künftig ausnahmsweise auch der Fahrzeughalter in den Schutz der Kfz-Versicherung integriert wird, wenn sein Fahrzeug im automatisierten Modus einen Unfall verursacht.“ Denn wenn sein Auto schuld am Crash ist, ist ausgerechnet ein Geschädigter nach bisheriger Logik nicht versichert: der Mensch hinterm Steuer – selbst, wenn er gar nicht der Fahrer war.

Peter Weißenberg/SP-X


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